HAMBURG taz | Lena Kaiser- Adil Yigit

Seine letzten Worte passen auf ein einziges Blatt. Er hat es auf den Tisch gelegt und sich auf den Weg gemacht: „Im Namen Allahs des Barmherzigen, ich möchte nicht mehr viel sagen“, steht auf kariertem Papier. Die letzte Botschaft gilt seinen Eltern: „Auf all eure Fragen geben die Bücher, die ich euch hinterlassen habe, Antworten, also lesen.“ Wenn stimmt, was seine Familie und die Behörden vermuten, ist Akin Yildiz* längst an seinem Ziel angelangt – in Syrien, beim Kampf im Namen Allahs. „Ihr braucht niemanden dafür verantwortlich machen, dass ich weg bin“, schreibt er weiter. „Es ist ganz alleine meine Entscheidung. (...) Möge Allah der Mächtige uns im Paradies wieder zusammen bringen.“ Yildiz, 27, hat in Hamburg Mediendesign studiert. Am 5. Februar flog er von Hamburg nach Istanbul. Dort verliert sich seine Spur.
Seine Familie, Aleviten, lebt modern. In den letzten Jahren hat sich Akin verändert, erklären seine Verwandten. Er fing an, regelmäßig zum Freitagsgebet in die Moschee am Steindamm im Hamburger Stadtteil St. Georg zu gehen, trug Vollbart, weite Kleidung. Irgendwann fragte ihn seine Mutter: „Wie siehst du denn eigentlich aus.“ Yildiz erwiderte: „Das ist doch Mode jetzt.“

Im Herbst 2013 entdeckt Yildiz’ Tante ein Foto im Internet. Auf der Facebook-Seite der Hamburger Gruppe „Lies! Hamburg“ sieht sie ein Foto, auf dem Yildiz an einem Infostand in der Hamburger Innenstadt steht. Die Gruppe verteilt kostenlose Exemplare des Korans. Als fundamentalistische Strömung wurden die Salafisten in Deutschland vor allem durch die kostenlose Koranverteilung auf der Straße bekannt. Später erkannte sie ihn in einem Café in Alsterdorf, ein Treffpunkt für salafistische Jugendliche. Heute macht sich Yildiz’ Mutter Vorwürfe, dass sie die Andeutungen und Hinweise nicht ernst genommen hat. „Die Salafisten, die sich hinter einer islamischen Maske verstecken, vergiften unsere Kinder“, sagt sie. Hinnehmen will sie das nicht: „Ich bin bereit, alles gegen die zu unternehmen.“ Nur den Namen ihres Sohnes will sie nicht nennen, um sein Leben nicht aufs Spiel zu setzen.

Rund 300 meist jüngere Männer, viele aus dem arabischen Raum und Konvertiten, sind nach Angaben des Verfassungsschutzes aus der Bundesrepublik auf dem Weg nach Syrien, um dort im Namen Allahs zu kämpfen. Der Hamburger Verfassungsschutzchef Manfred Murck geht davon aus, dass von ihnen 25 aus Hamburg kommen. Etwa die Hälfte von ihnen sei in Syrien angekommen. Andere bleiben in Transitländern wie der Türkei. „Dass diese Leute gewaltorientiert sind, davon gehen wir grundsätzlich aus“, sagt Murck. Denn es handele sich um jihadistischen Salafismus – bei dem es darum gehe, weltweit dafür zu sorgen, dass der Islam gewinnt und die Scharia gilt. „Die gehen mit der Absicht nach Syrien, entweder Organisationen zu unterstützen, die in den Kämpfen aktiv sind – oder um selbst an den Kämpfen teilzunehmen“, sagt Murck. Yildiz ist für den Verfassungsschutz kein Unbekannter. Ermittlungen gegen ihn sind eingeleitet, bestätigt der Islamismusexperte des Hamburger Verfassungsschutzes Behnam Said.

Oft nutzen Salafisten persönliche Probleme, um Mitstreiter zu gewinnen. Sie legen die Regeln des Islam besonders strikt aus. Mit strengen Bekleidungsregeln und klarer Geschlechtertrennung. Sie versuchen die Ungläubigen zu missionieren. Insgesamt schätzt der Verfassungsschutz, dass es in Hamburg rund 200 Salafisten gibt.

Vergangene Woche hat sich der SPD-Abgeordnete Ali Simsek mit Yildiz’ Fall beschäftigt. In seine Bürgersprechstunde hatte er die Mutter und den Islamismus-Experten vom Verfassungsschutz eingeladen. Sprechen will er darüber jedoch nicht: Wegen der laufenden Ermittlungen und um Familie Yildiz zu schützen.

Für Familie Yildiz sind einige Fragen offen. Zum Beispiel die, warum die Behörden so viel wussten, den Sohn aber nicht aufhalten konnten. Sein Vater überlegt nun, sich selbst auf die Suche zu machen. * Namen geändert

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