Wenn in der Öffentlichkeit über Gesundheitspolitik debattiert wird, werden bestimmte Teilaspekte gebetsmühlenartig wiederholt. Im Streit um Ärztemangel, Krankenversicherung oder ausgewogene Lebensweisen wird ein Thema dagegen nur selten genannt: die Armut. Der Zusammenhang von Krankheitsrisiko und fehlender gesellschaftlicher Teilhabe aufgrund von Armut soll in diesem Jahr durch eine Kampagne des Deutschen Caritasverbandes (DCV) stärker ins öffentliche Bewußtsein gebracht werden.

»Wo es an Einkommen, Bildung und Perspektiven fehlt, ist Krankheit ein häufiger Begleiter«, lautet die klare Botschaft der Kampagne »Armut macht krank«. Gemeint sind hier insbesondere Personengruppen, die nur einen mangelhaften Zugang zu unserem Gesundheitssystem haben, wie Langzeitarbeitslose, Asylbewerber oder wohnungslose Menschen. Das hänge oft mit der Tatsache zusammen, daß diese Gruppen, wenn überhaupt, nur ein sehr geringes Einkommen zur Verfügung haben. So sind beispielsweise Arbeitslose in Relation zu Erwerbstätigen doppelt so häufig betroffen von Krankheit, Krankenhausaufenthalten oder der Behandlung mit Psychopharmaka. Das kann durch offizielle Zahlen, die unter anderem vom Robert-Koch-Institut erhoben wurden, nachgewiesen werden.

Eines der größten Armutsrisiken in unserer Gesellschaft sei die Langzeitsarbeitslosigkeit, verkündete Dr. Peter Neher, Präsident des DCV, am Mittwoch in Berlin. »Wer von Arbeitslosengeld II lebt, belegt jede Ausgabe genau. So werden notwendige Arztbesuche aufgeschoben, um die Praxisgebühr zu sparen.« Nicht nur deswegen forderte er, die Praxisgebühr »baldmöglichst abzuschaffen«. Ursprünglich als Instrument zur Vermeidung unnötiger Arztbesuche eingeführt, sei sie mittlerweile vielmehr zu einer zusätzlichen Finanzspritze im Gesundheitssystem degradiert, die dazu mit hohen Bürokratiekosten verbunden sei. »Wenn die Ursache häufiger, aber medizinisch nicht notwendiger Arztbesuche in Vereinsamung und fehlenden sozialen Kontakten liegt, ist zu belegen, ob nicht soziale Angebote beispielsweise der offenen Altenhilfe hilfreicher wären«, so Neher.

Daß Armut krank macht, wird auch an der unterschiedlichen Lebenserwartung deutlich. Bei Frauen beträgt die Differenz zwischen niedriger und hoher Einkommensgruppe acht, bei Männern sogar elf Jahre. Häufig auftretende Krankheitsbilder sind hier vor allem Herzinfakt oder Schlaganfall, aber auch Diabetes oder chronische Bronchitis. Gerade für Menschen ohne Krankenversicherung, beispielsweise Asylbewerber, stellten sich nach DCV-Angaben hohe Hürden in unserem Gesundheitssystem. Abgesehen von einem Rechtsanspruch auf ärztliche Behandlung bei akuten Erkrankungen oder Schwangerschaft lägen weitere Behandlungen meistens im Ermessen der Behörden. Noch schwieriger sei die Situation bei Menschen, die ohne legalen Aufenthaltstitel in Deutschland leben. Aus Angst davor, gemeldet und abgeschoben zu werden, vermieden sie es oft, die wenig vorhandenen Angebote zu nutzen.

Angesichts der offensichtlichen Mißstände forderte DCV-Präsident Neher »ein Gesundheitssystem, das auch die Menschen nicht aus dem Blick verliert, die am Rande der Gesellschaft leben«. Laut Europäischer Union gelten diejenigen als armutsgefährdet, die weniger als 60 Prozent des jeweiligen nationalen Durchschnitts aller Einkommen zur Verfügung haben. In Deutschland betrifft das rund 12,6 Millionen Menschen, etwas mehr als jeden sechsten. Angesichts dessen sei eine Politik von Nöten, »die Armut und Arbeitslosigkeit bekämpft, die Hauptursachen für ein erhöhtes Krankheitsrisiko und eine geringe Lebenserwartung«. Nehers Fazit: »Jeder verdient Gesundheit.« jw