Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat entschieden, dass Türkısche Staatsangehöriger ein Visum brauchen, wenn sie in der EU eine Dienstleistung in Anspruch nehmen. Erst Ende 2012 hob die EU-Kommission die Visumspflicht für türkischer Staatsangehöriger, die in der EU eine Dienstleistung erbringen wollen, auf. Damit gilt für Türken nur die aktive und nicht die passive Dienstleistungsfreiheit. Der konkrete Fall vor dem EuGH befasste sich mit einem 14-jährigen türkischen Mädchen, das ihren Stiefvater in Deutschland besuchen wollte. 


Die mittlerweile 20-jährige Leyla Ecem Demirkan zog im vergangenen Jahr vor den EuGH. Ihr wurde 2007 von deutschen Behörden ein Visum zum Besuch ihres damals kranken Stiefvaters verwehrt. Sie führte vor Gericht an, dass sie notwendigerweise Dienstleistungen in Deutschland beanspruchen müsse, wenn sie einreise. Einem früheren Urteil des EuGH zufolge habe die Inanspruchnahme von Dienstleistungen von der Visumspflicht befreit
. Demnach hätte sie ohne Visum einreisen dürfen.

Der Anwalt Demirkans, Rolf Gutmann, habe darauf hingewiesen, dass türkische Staatsbürger bis 1971 ohne Visum einreisen konnten. Das Assoziierungsabkommen zwischen der damaligen EWG und der Türkei von 1970 verbietet eine Einschränkung der darin verbürgten Rechte.

Egemen Bagis, türkischer EU-Minister, wirft dem EuGH vor, unter politischem Druck agiert zu haben. Diese Situation lasse an der Aufrichtigkeit der Staaten zweifeln, die den Visa-Liberalisierungsprozess vorantreiben. Die Türkei werde dementsprechend mit der EU-Kommission verhandeln.

„Es ist bedauerlich und enttäuschend, dass der Europäische Gerichtshof seine bisherige Rechtsprechung nicht konsequent fortgeführt hat. Die Mitgliedstaaten hatten dem EuGH die Auswirkungen eines Urteils im Sinne der Visumfreiheit in düstersten Farben beschrieben“, sagt Sevim Dagdelen von der LINKEN im Bundestag in einer Pressemitteilung.

In der Stellungnahme der Bevollmächtigten der Bundesregierung werde gar davor gewarnt, dass eine positive Entscheidung praktisch zum Zusammenbruch des einheitlichen europäischen Visasystems führen würde. Dies sei unbegründete Panikmache. Der EuGH habe sich vom Schreckens-Szenario deutscher Beamten beeindrucken lassen, so Dagdelen.

EU-Gericht habe „zugunsten der Bundesrepublik“ entschieden

Zwischen der EWG und der Türkei besteht ein Assoziierungsabkommen. Dieses Abkommen beinhaltet eine Klausel, die eigentlich untersagt, die Dienstleistungsfreiheit einzuschränken. Die Richter argumentieren, dass dieses Abkommen primär mit dem Ziel geschlossen wurde, die wirtschaftliche Entwicklung der Türkei zu fördern. Eine Ausweitung der im Abkommen gewährten wirtschaftlichen Freiheiten zu einer generellen Freizügigkeit, wie sie die EU-Staaten praktizieren, sei unzulässig, so die Finanznachrichten.

In einer Pressemitteilung des Bundesinnenministeriums wird die Entscheidung als „richtungsweisend“ gewertet: „Der EuGH ist nunmehr der Argumentation der Bundesregierung gefolgt und hat zugunsten der Bundesrepublik Deutschland entschieden. Dies [die Aufhebung der Visumspflicht; Anmerkung der Redaktion] wäre faktisch gleichbedeutend mit einer Visumfreiheit für Kurzzeitaufenthalte türkischer Staatsangehöriger gewesen“.

Jeder Tourist würde während seines Aufenthalts irgendeine Dienstleistung (z.B. eine Busfahrt oder einen Friseurbesuch) in Anspruch nehmen. Die bestehenden Ausnahmen für LKW-Fahrer und die rasche Bearbeitung bei Geschäftsleuten seien ausreichend, wie das Ministerium beteuert. Dass eine Visumsfreiheit für türkische Geschäftsleute aber nur folgerichtig wäre, beweist die immer weiter wachsende wirtschaftliche Verflechtung zwischen EU und der Türkei. Die EU ist der wichtigste Exportmarkt der Türkei.

Die Türkei verfolgt seit Jahren die Liberalisierung der Visumspflicht für Türkische Staatsangehöriger, die in die EU einreisen . Zum Ende des vergangenen Jahres stellte die EU eine komplette Aufhebung der Visumspflicht in Aussicht. Bedingung: Die Türkei unterzeichnet das Rückholabkommen. Dieses verpflichtet die Türkei zur Rück-Aufnahme aller Immigranten, die über türkisches Staatsgebiet in die EU gekommen sind. Die Vereinbarung kam bisher nicht zu Stande, weil die EU der Türkei lediglich den Beginn der Verhandlungen für eine Unterzeichnung des Rückholabkommens anbot.