Am vergangenen Mittwoch war der stellvertretende Ministerpräsident der türkischen Republik, Bülent Arınç, Gast der Konrad Adenauer Stiftung in Berlin. Es fand eine Konferenz unter dem Titel „Wandel der Türkei- Vision für 2023 und Europa“ statt. Der Vortrag von Arınç wurde von einem Zwischenfall überschattet.

Eine Gruppe von weiblichen und männlichen Mitgliedern des „Bundes türkischer Jugendlicher“ (TGB) erhoben sich und trugen Protestplakate in ihren Händen. Die TGB ist die Jugendorganisationen der nationalistisch eingerichtete türkischen Arbeiterpartei (IP). Ihr Wortführer fragte den Vizepremier, was er von der Inhaftierung unschuldiger Menschen in der Türkei halte?

Bülent Arınç ging auf die Frage nicht ein und forderte die Jugendlichen auf, Fragen in der Diskussionrunde zu stellen. Die Gruppe von deutsch-türkischen Studenten wurde sofort von türkischen und deutschen Sicherheitskräften eingekreist. Zu Handgreiflichkeiten kam es nicht. „Ihr werdet untergehen“, schrie einer der Protestler. So viel Ungerechtigkeit und Leid könne nicht ewig dauern. Anschließend verliessen sie den Saal. Die Sicherheitskräfte der türkischen und deutschen Seiten waren vorgewarnt. Ein derartiger Vorfall wurde erwartet. TGB-Aktivisten organisierten auch die Proteste in Kahramanmaraş gegen die Stationierung von Patriot-Raketen.

Reformprozess wird nicht stoppen


Der Vizepremier sagte in seiner Rede, dass die Türkei anstrebe, bis 2023 ein demokratisch stabiles Land zu werden. Die AKP-Regierung versuche eine dauerhafte „reformistische Politik“ zu entwickeln. Dazu müsse das politische System nachhaltig verändert werden. Im Fokus stehen Reformen, die die Wege zur Entscheidungsfindung verkürzen, erklärte Arınç.

Nicht-muslimischen Minderheiten sei in den vergangenen Jahren eine Reihe von rechtlichen Erleichterungen zugestanden worden. Auch hier werde die Türkei den Reformprozess ankurbeln. Einige Stunden zuvor hatte dies der Vizepremier auch im Gespräch mit dem Vorsitzenden der Deutsch-Türkischen Parlamentariergruppe des Deutschen Bundestags, Johannes Kahrs unterstrichen .

Die Türkei als Wirtschaftsmacht

Auf der wirtschaftlichen Ebene möchte die Türkei bis 2023 ihr jährliches Exportvolumen auf 500 Milliarden Dollar steigern. Ferner möchte das Land 40 Prozent aller türkischen Frauen in den Arbeitsmarkt eingliedern. Das weibliche Geschlecht sei auf dem türkischen Arbeitsmarkt noch zu wenig vertreten. Es gehe der AKP um die bestmögliche Nutzung von Humankapital. Nur so könne das Wirtschaftswachstum der Türkei auch in Zukunft gesichert werden.

In diesem Zusammenhang versuche seine Regierung, eine multidimensionale Außenpolitik zu betreiben. Türkische Unternehmen und Organisationen sehen nicht nur die EU als Betätigungsfeld, sondern auch den Nahen Osten, Afrika und Asien. Trotzdem unterstütze er einen EU-Beitritt seines Landes. Denn für beide Seiten sei es vorteilhafter als geeinte Kraft im internationalen Geschäft aufzutreten.

Bülent Arınç ist ein vehementer Gegner der EU-Kritiker. Die EU sei bisher nach jeder großen Krise gestärkt hervorgegangen und werde nicht zerfallen, meint er. Umso wichtiger sei es, dass das „europäische Kulturerbe“ eine Symbiose mit der Türkei eingehe.

EU-Beitritt ist kein Muss für die Türkei

Die türkisch-europäischen Beziehungen seien weitaus älter, als 54 Jahre. Man könne auf eine tausendjährige Geschichte zurückschauen, die allerdings geprägt war von Konflikten und politischen Gegensätzen. „Wir haben die große Chance den Lauf der Geschichte in eine andere Bahn zu lenken“, meint der Vizepremier. Man wolle zum hundertjährigen Jubiläum der Türkei EU-Mitglied werden.

Doch wenn die Europäer nicht wollen, sei das auch nicht schlimm. Denn sein Land sei nicht angewiesen auf die EU. In diesem Sinne schließe er sich den Aussagen Oettingers an. Ende Februar hatte der EU-Kommissar, Günther Oettinger, gesagt, dass Deutschland und Frankreich die Türkei eines Tages anflehen werden, um sie in die EU zu holen. Der türkische Europaminister stimmte Oettingers Aussagen zu .