Von Nick Brauns (Junge Welt)

Die türkische Regierung beschuldigt die syrische Staatsführung von Präsident Baschar al-Assad, hinter zwei Autobombenanschlägen mit 46 Toten und 140 Verletzten in der türkischen Provinz Hatay zu stecken. Am Samstag waren vor der Stadtverwaltung und dem Postgebäude der kurz vor der syrischen Grenze gelegenen 60.000-Einwohnerstadt Reyhanli im Abstand von 15 Minuten zwei mit Sprengstoff gefüllte Fahrzeuge explodiert. Zu den Anschlägen bekannte sich bislang niemand.


Die Regierung behalte sich das Recht auf „Maßnahmen jeder Art“ vor, drohte der türkische Außenminister Ahmet Davutoglu von der islamisch-konservativen AKP-Regierung am Samstagabend während eines Staatsbesuchs in Berlin indirekt mit kriegerischen Akten gegen das Nachbarland. Die türkische Armee verlegte weitere Luft- und Bodentruppen an die Grenze.


Vizeministerpräsident Bülent Arinc hatte bereits kurz nach den Anschlägen „al-Assad und den syrischen Geheimdienst Mukhabarat als die üblichen Verdächtigen“ bezeichnet. Am Samstagabend behauptete Innenminister Muammer Güler dann gegenüber dem staatlichen Fernsehsender TRT, die Attentäter seien identifiziert. „Es ist erwiesen, daß sie Verbindungen zu Organisationen haben, die vom syrischen Regime und seinen Geheimdiensten unterstützt werden“.  Neun geständige türkische Staatsbürger seien festgenommen worden, erklärte die Regierung am Sonntag. Das Kriminalgericht von Reyhanli hat eine Nachrichtensperre im Zusammenhang mit den Anschlägen verhängt, um „Staatsgeheimnisse“ zu schützen. Journalisten drohen bei Zuwiderhandlung Haftstrafen.


 „Syrien hat solche Akte nicht begangen und würde sie niemals begehen, da sie gegen unsere Werte verstoßen“, wies der syrische Informationsminister Omran al-Zohbi am Sonntag jede Verbindung zu den Anschlägen zurück und drückte die Trauer seiner Regierung über die Toten aus. „Die türkische Regierung hat das Grenzgebiet in ein Zentrum des internationalen Terrorismus verwandelt und betreibt weiterhin die Ankunft von Waffen, Sprengstoff, improvisierten Sprengsätzen, Autos, Geld und Mördern nach Syrien“, beklagte Al-Zohbi eine Destabilisierung der Grenzregion. Reyhani ist ein Waffenumschlagplatz für die Söldner der von Ankara unterstützten Freien Syrischen Armee.


Obwohl der türkische Vizeregierungschef Arinc behauptet, der Anschlag haben den über 20.000 in der Region um Reyhanli lebenden syrischen Bürgerkriegsflüchtlingen gegolten, handelt es sich bei den Toten nach Behördenangaben fast ausschließlich um türkische Staatsbürger. In der 1939 an die Türkei angeschlossenen und bis heute von Syrien beanspruchten Provinz Hatay leben viele arabische Alawiten, die mit dem ebenfalls dieser religiösen Minderheit angehörenden syrischen Präsidenten al-Assad sympathisieren. Zwischen ihnen und den syrischen Bürgerkriegsflüchtlingen kommt es zunehmend zu Spannungen. Nach dem Anschlag warfen Jugendliche Steine auf Autos mit syrischen Kennzeichen.


„Wer diese verabscheuungswürdigen Terroranschläge verübt hat, will damit die türkische Regierung, die dem syrischen Volk beisteht, für ihre ehrenhafte Haltung bestrafen“, erklärte das vom Westen und den Golfmonarchien unterstützte Oppositionsbündnis „Syrische Nationale Koalition“ in Istanbul. Ziel der Anschläge sei es, einen Keil zwischen Türken und Syrer zu treiben. Bereits im Februar waren bei einem Autobombenanschlag am Grenzübergang bei Reyhanli 14 Menschen getötet worden. Die Polizei hatte damals mehrere syrische Staatsbürger verhaftet, denen sie Verbindungen zum syrischen Geheimdienst vorwarf.


Die jetzigen Anschläge erfolgten zu einem Zeitpunkt, an dem der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan den Druck auf die NATO-Verbündeten erhöht, eine Flugverbotszone über Syrien auszurufen.  Bei seinem Washingtonbesuch am Donnerstag will Erdogan Beweise für den Einsatz von Chemiewaffen durch die syrische Armee präsentieren. US-Präsident Barak Obama hatte dies als „rote Linie“ für ein direktes Eingreifen der USA bezeichnet. Im Krankenhaus von Reyhanli werden nach Informationen der Tageszeitung Hürriyet angeblich durch Giftgas verletzte Bürgerkriegsopfer untersucht.