Jemand mit zwei Pässen würde sich der deutschen Gesellschaft nicht in dem Maße verpflichtet fühlen, wie jemand, der nur einen Pass hat. Doch wie kann eine erzwungene Wahl zwischen zwei Staatszugehörigkeiten garantieren, dass jemand die richtige Entscheidung trifft? Gibt es die richtige Entscheidung überhaupt?


Nicht erst seit dieser Bundestagswahl ist das Thema der doppelten Staatsbürgerschaft wichtig für Menschen mit Migrationshintergrund. In das Gedächtnis vieler deutscher Wähler hat sich wohl der hessische Wahlkampf Roland Kochs von 1999 eingeschrieben. Damals sammelte die CDU fünf Millionen Unterschriften gegen die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts, die von SPD und Grünen gefordert wurde. Koch gewann die Wahlen in Hessen, der Bundesrat kippte zugunsten der CDU/CSU. Seit 2000 gilt die Kompromissregelung mit dem Namen „Optionspflicht“.


Demnach hat jeder, der in Deutschland geboren wurde, dessen Eltern aber eine ausländische Staatsbürgerschaft haben, die Pflicht, sich mit 23 für eine der beiden Staatsbürgerschaften zu entscheiden. Kinder aus Ehen, in denen ein Elternteil bereits deutsch ist und das andere ausländisch, können paradoxerweise beide Pässe behalten.

Doppelte Staatsbürgerschaft wird also nur denjenigen zugestanden, die zumindest ein deutsches Elternteil haben. Hier greift das Abstammungsprinzip. Ist jemand hier als Kind von Ausländern geboren worden, bekommt er oder sie zwar die deutsche Staatsbürgerschaft. Um sie aber behalten zu können, muss der ausländische Pass abgegeben werden. In diesem Fall greift das Geburtsortprinzip.

Während EU-Ausländer problemlos die deutsche Staatsbürgerschaft bekommen und ihren alten Pass behalten dürfen, gilt dies für EU-Ausländer nicht. Sie müssen sich spätestens mit dem 23. Lebensjahr für eine der beiden Staatsangehörigkeiten entscheiden. Fakt ist also: in Deutschland gibt es durchaus Menschen mit mehreren Pässen. Entweder sind es EU-Ausländer oder Kinder aus Ehen zwischen Deutschen und Ausländern. Die derzeitige Regelung schließt also gezielt Kinder von EU-Ausländern aus: Türken, Marokkaner, Inder oder Albaner – ein Großteil der in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationshintergrund.

CDU/CSU verlangen ein Bekenntnis zu Deutschland – nicht von allen

Alle Parteien, bis auf CDU/CSU, fordern die Zulassung der doppelten Staatsbürgerschaft. In der Begründung der CDU/CSU heißt es: „Uns geht es darum, das Verbindende einer gemeinsamen Staatsangehörigkeit zu erhalten. Eine Staatsangehörigkeit kann Bindung zwischen den Menschen aber nicht herstellen, wenn ihr Erwerb ausschließlich persönlichen Opportunitätsgründen folgt. (…) Die Entscheidung für die deutsche Staatsangehörigkeit bedeutet nicht die Aufgabe der Herkunft eines Menschen“, zitiert das Migazin aus einer Anfrage des Verbands binationaler Ehen und Partnerschaften.

Es wird also unterstellt, dass die Entscheidung für die doppelte Staatsangehörigkeit nur aus Bequemlichkeit getroffen wird: Mit dem deutschen Reisepass kann man problemlos reisen, mit der türkischen/albanischen/serbischen drückt man seine wahre Zugehörigkeit aus. Sich bewusst nur für die deutsche Staatsangehörigkeit zu entscheiden, heißt für CDU/CSU folgenden Beweis zu erbringen: Deutschland ist das Land, in dem man wählen gehen, seine Kinder aufziehen und alt werden möchte.

Kein anderer deutscher Bürger, denn bis zum 23. Lebensjahr ist man schließlich auch Deutscher, muss seine Loyalität nachweisen. Doch die Optionspflicht schafft genau diesen Zwang, sich zu bekennen. Mit einer richtigen Entscheidung können die Betroffenen von Ressentiments genährte Zweifel an ihrer Integrationsfähigkeit ausräumen.

Damit wird Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft eine prinzipielle Gefährdung durch ihren ausländischen Pass zugeschrieben. Warum aber Rumänen und Bulgaren mit zusätzlichem deutschen Pass kein Problem für den gesellschaftlichen Zusammenhalt darstellen, bleibt das Geheimnis der CDU/CSU. Die Haltung der Konservativen erfährt zumindest unter Deutschen großen Zuspruch.

Eine Umfrage der Bertelsmann-Stiftung von 2009 hat ergeben, dass 58 Prozent aller Befragten den Entscheidungszwang gut heißen. 38 Prozent lehnen das derzeitige Modell ab. Entscheidend ist aber: Unter Migranten lehnen 53 Prozent, unter Ausländern sogar 71 Prozent die Optionspflicht ab.

SPD, Bündnis 90/Die Grünen, die LINKE und Piraten plädieren für eine doppelte Staatsbürgerschaft. „Es ist kein sachlicher Grund ersichtlich, warum etwas, das in vielen europäischen Ländern schon seit vielen Jahren erfolgreich praktiziert wird – nämlich die generelle Hinnahme von Mehrstaatigkeit – allein in Deutschland nicht funktionieren soll“, so die Grünen.

Das Thema wurde im Bundestagswahlkampf kaum aufgegriffen. Die Parteien haben zu große Angst davor entweder in die rechte Ecke gedrängt, oder als naive Multikulti-Anhänger diskreditiert zu werden. Eine sachliche und vorurteilsfreie Debatte darüber, hätte womöglich für einen spannenderen Wahlkampf sorgen können.