Immer wieder gerieten die Gespräche ins Stocken oder fuhren gar fest wie in den vergangenen Wochen. Jetzt besteht für die vier Parteien im Verfassungsausschuss des türkischen Parlaments offenbar keine Chance mehr, doch noch einen Kompromiss zu erreichen. Zwei Jahre demokratische Arbeit gehen damit den Bach hinunter.


Wie der AKP-Abgeordnete Mehmet Ali Şahin an diesem Montag vor Reportern verlauten ließ, werde sich Parlamentssprecher Cemil Çiçek schriftlich an die Köpfe der vier Regierungsparteien wenden. Darin werde er mitteilen, dass es dem Ausschuss nicht gelungen sei, eine neue Verfassung auszuarbeiten.

An dem Punkt, an dem wir nun angekommen sind, bin ich nicht mehr zuversichtlich“, so Çiçek nach einem Treffen des Ausschusses am Sonntag. In seinem Brief an die Parteivorsitzenden wolle er die bisherige Arbeit des Ausschusses zusammenfassen. Dem Blatt zufolge, wolle der Parlamentssprecher seine finale Entscheidung über den Ausschuss davon abhängig machen, wie die Parteien auf seine Zeilen reagierten. Solange bis er diese erhalte, ruhe die Arbeit jedoch.

Opposition wettert gegen Çiçek

Nach steter Uneinigkeit herrscht zumindest bei den drei Oppositionsparteien nun in einem Punkt Konsens. Sowohl der CHP-Abgeordnete Atilla Kart, der MHP-Abgeordnete Faruk Bal als auch Bengi Yıldız von der BDP sind sich darin einig, dass Çiçek gemäß den von allen Parteien unterzeichneten Ausschuss-Regeln nicht die Befugnis habe, die Arbeit auf eigene Faust zu beenden. Ihrer Ansicht nach sei es offensichtlich, dass die AKP-Gruppe und der Parlamentssprecher auf Geheiß von Premier Recep Tayyip Erdoğan gemeinsam eine Entscheidung getroffen hätten. Yıldız bezeichnet den Schritt Çiçek’ als „weder elegant, noch moralisch“.

Um den Ausschuss aufzulösen, müsste eigentlich eine der beteiligten Parteien offiziell ihren Ausstieg erklären. Eine weitere Variante wäre das dreimalige unentschuldigte Fernbleiben einer Fraktion.

Ausschuss verpasst gleich mehrere Fristen

Die Arbeit an der neuen türkischen Verfassung stand schon seit längerem unter keinem guten Stern. Nachdem bereits die Frist zum Jahresende 2012 nicht eingehalten werden konnte, haben sich die Vertreter der Verfassungskommission im April auf einen erneuten Aufschub geeinigt. Permanente interne Querelen und Uneinigkeiten innerhalb der Kommission behinderten das Vorankommen nachhaltig.

Schon vor Ablauf der ersten Deadline Ende vergangenen Jahres schien für Außenstehende klar, dass die ambitionierte Frist nicht einzuhalten ist. Einige werteten das bereits als Versagen des Premiers. Andere verwiesen auf Probleme im Arbeitsprozess. Die Verfassungskommission sei in „desolatem Zustand“, so etwa das Balance and Inspection Network, eine Dachorganisation für insgesamt 76 NGOs in der Türkei. In nur 20 Prozent der Fälle, informierte damals Fuat Keyman, Sprecher der Organisation, seien sich die Parlamentarier einig. Einige Inhalte würden von der AKP schlichtweg komplett blockiert.

Erstmals zusammen kamen die Parlamentarier bereits Mitte 2011, um erste Ideen auszutauschen. Doch erst im Mai 2012 wurde tatsächlich mit der Ausarbeitung erster Artikel begonnen. Eine Beratung mit der Venedig-Kommission wurde früh abgelehnt. Die jetzige Verfassung der Türkei geht auf die Militärregierung zurück.