Die Sperrung einer türkischen Facebook-Seite sorgt bei vielen Usern für Unmut. Bei ihnen wächst der Verdacht, dass die Regierung die Sperrung gefordert haben könnte. Beweise hierfür gibt es zwar nicht, doch nach Angaben der Betreiber habe Facebook auf Anfragen nicht reagiert. Die Betreiber haben es sich zur Aufgabe gemacht, kritische Artikel außerhalb des Mainstreams auf ihrer Seite zu sammeln und den Usern zugänglich zu machen.


Erst Ende Juni sperrte Facebook die türkische Gruppe „Ötekilerin Postası“. Der Grund: pornografische Inhalte. Die Seite war kurz danach zwar wieder online, die 138.000 Likes gingen aber verloren. Es erfolgte eine erneute Sperrung, diesmal ohne Begründung.


Ende 2012 entstand die Facebookseite „Açlık Grevi Postası“ („Hungerstreik Post“), um auf den Hungerstreik kurdischer, politischer Gefangener aufmerksam zu machen. Türkische Mainstream-Medien berichteten kaum von diesen Vorgängen. Nach dem Streik benannte sich die Plattform zu „Ötekilerin Postası“ um. Es entstand ein Raum für all diejenigen, die als die „Anderen“ vom medialen Diskurs regelmäßig übergangen werden: Kurden, Homosexuelle, Transsexuelle, Frauen, Umweltschützer, Armenier und „andere“. Auch nach zweimaliger Sperrung der Seite, unter anderem wegen Pornografie, lassen sich die Betreiber nicht unterkriegen.


Dabei hatten die Betreiber der Seite zunächst nicht vor, nach dem Streik weiterzumachen. „Während des Hungerstreiks schworen wir uns und den Lesern: Wenn dabei keiner stirbt, schließen wir die Seite. Doch die Leute fragten uns, warum wir nicht weitermachen. Jeder der Betreiber hatte zwar sein eigenes Leben, aber wir fühlten uns verantwortlich“, so Emrah Ucar, der Mitbegründer der Seite, im Interview mit der Zeitung
Agos
. Diese Form des Bürgerjournalismus wäre ohne soziale Netzwerke undenkbar, sagt er. Letztlich beziehe die Plattform einen Großteil ihrer Informationen, Videos und Fotos von Twitter- und Facebook-Usern.


Während der Gezi-Proteste entwickelte sich die Seite zu einer wichtigen Informationsquelle für die Protestierenden. Auch in diesem Zusammenhang erfüllte die Plattform die Funktion, der selektiven oder gar ausbleibenden Berichterstattung der Mainstream-Medien entgegenzuwirken. Im Juni erreichte die Seite die Marke von 138.000 Likes. Auf den rasanten Aufstieg folgte die große Ernüchterung.


Schließlich gibt es auf Facebook zahlreiche Seiten, die gegen den Verhaltenscodex verstoßen, sei es wegen pornografischer oder rassistischer Inhalte. Das Unternehmen hält sich bedeckt, was die Zahl, den Sitz und die Kriterien der Kontrolleure angeht.


Die „Ötekilerin Postasi“ wird jetzt von fünf bis sechs Menschen betreut. Die Vision der Betreiber ist die Einrichtung einer Nachrichtenagentur, die Informationen von Bürgerjournalisten herausgibt. Das Projekt soll ohne Werbung finanziert werden, um die Unabhängigkeit zu wahren.