In der Türkei ist es am Sonntag erneut zu Protesten gegen das neue Internet-Gesetz der türkischen Regierung gekommen. Diesmal versammelten sich Hunderte von Journalisten in Istanbul. Sie appellierten an Präsident Abdullah Gül, das Papier nicht zu unterzeichnen und stattdessen sein Veto einzulegen.


„Hallo Premierminister, es ist genug“ oder „Stopp den Druck“, war auf den Bannern zu lesen, die die Journalisten am Sonntag durch die Straßen von Cağaloğlu trugen. In diesem Teil Istanbuls befindet sich auch das Büro des Gouverneurs. Genau dort, galt es, die Empörung über die endlosen Einmischungen in die Medien zum Ausdruck bringen.

Anruf bei Habertürk nur das letzte Kapitel

Nur wenige Tage ist es her, dass ein eklatanter Eingriff von Recep Tayyip Erdoğan in das Mediengeschehen öffentlich geworden war. Weil der private türkische Nachrichtensender Habertürk „beleidigende“ Botschaften der Opposition verbreitete, sah sich der Premier im vergangenen Sommer dazu veranlasst, persönlich vorzugehen. Der auf YouTube aufgetauchte Telefonanruf zieht im Netz mittlerweile weite Kreise.

Während einer Marokko-Visite im vergangenen Juni griff Erdoğan zum Telefon, um bei Habertürk-Vorstandsmitglied Fatih Saraç persönlich vorzusprechen. Die auf YouTube veröffentlichte Beschwerde des Premiers bei Saraç ist zu einem echten Hit im Netz avanciert. Mehr als 800.000 User sahen sich den 4:20 Minuten dauernden Clip bereits an.

Erdoğan hat das Gespräch mittlerweile öffentlich während einer Pressekonferenz in Ankara eingeräumt. Einsichtig zeigte er sich allerdings nicht. Seiner Ansicht nach habe er gegen die „Beleidigungen“ vorgehen müssen.

Die unglaublichen Enthüllungen haben das Ausmaß der staatlichen Eingriffe in Medienangelegenheiten deutlich gemacht, die für ein demokratisches Land nicht hinnehmbar sein sollten. Spätestens seither ist dem Premier der Zorn der Kritiker und Oppositionsparteien im Parlament sicher. Spürbar sind diese jedoch schon weitaus länger. Schon während der Gezi Park Proteste ignorierten die staatlichen Medien die riesigen Proteste etwa auf dem Taksim-Platz. Die Selbstzensur griff um sich – aus Angst vor Repressalien. Auf der anderen Seite mussten zahlreiche Kollegen für ihre Berichterstattung ihre Posten räumen.

Blockierung von Internetseiten binnen vier Stunden

Die jüngste Internet-Gesetz wartet nun noch auf die Unterschrift des Präsidenten. Tritt es in Kraft, wäre die türkische Aufsichtsbehörde für Telekommunikation (TIB) in der Lage, innerhalb von vier Stunden Internetseiten ohne eine Gerichtsentscheidung zu blockieren. Behörden sollen im Zuge einer Änderung des Gesetzes Nr. 5651außerdem mit der Befugnis ausgestattet werden, künftig die Surfaktivitäten der User aufzuzeichnen und für zwei Jahre abzuspeichern.

Erst Ende der vergangenen Woche hatte sich die internationale Menschenrechtsorganisation Amnesty International zu Wort gemeldet. Sie forderte den türkischen Präsidenten Abdullah Gül öffentlich auf, „sein Veto-Recht zu nutzen, um eine Verschärfung des Internet-Gesetzes Nr. 5651 zu verhindern“. Diese würden nach Ansicht der Menschenrechtsorganisation „eine abschreckende Wirkung auf die freie Meinungsäußerung“ haben. Der Präsident müsse ein Zeichen gegen Internet-Zensur setzen. Gleichzeitig wurde eine weltweite Twitter-Aktion lanciert.