In Istanbul hat die Menschenrechtsorganisation Amnesty International am Mittwoch einen Bericht vorgelegt, der die gravierendsten Polizeiexzesse während der Gezi-Park-Proteste in den Monaten Juni und Juli dokumentiert. Der Vorwurf: Statt die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, hagelt es „absurde Vorwürfe“ gegen die Opfer.  Und diese leiden bis heute.


„Der Versuch, die Gezi Park Protestbewegung zu zerschlagen, beinhaltete eine Reihe von Menschenrechtsverletzungen in großem Maße“, so Andrew Gardner, Türkei-Researcher von Amnesty International, in einer 
Erklärung. So habe die türkische Polizei den Menschen das Recht auf friedliche Versammlung verweigert. Es sei sogar zu Folter und Misshandlungen gekommen.  Die Polizei habe zudem „routinemäßig“ direkt auf Demonstranten, Zuschauer und manchmal in Wohngebäude und medizinische Einrichtungen gefeuert. Das habe zu Hunderten Verletzten geführt.

Gezi-Park-Proteste: Über 8000 Verletze, sechs Tote

Während der teils heftigen Auseinandersetzungen waren nach Angaben der türkischen Ärztevereinigung mehr als 8000 Personen verletzt worden, sechs starben. Nach Angaben von Amnesty International seien dabei scharfe Munition, Tränengas, Wasserwerfer, Plastikgeschosse und Schläge zum Einsatz gekommen. Mindestens drei Todesopfer könnten direkt auf den Einsatz von exzessiver Gewalt durch die Sicherheitskräfte zurückgeführt werden. 

Die türkische Regierung müsse friedlichen Protest respektieren, so die Organisation. Darüber hinaus müsse auch sichergestellt werden, dass die türkische Polizei „legale, friedliche Proteste schützt und Gewalt nur anwendet, wenn sie tatsächlich notwendig ist, zum Beispiel um Menschenleben zu retten“.

Amnesty International ist überzeugt: Die Welle der Gewalt habe den Bestrebungen der Türkei geschadet, ein demokratisches Modell für muslimische Länder zu werden, indem man eine auffallende Intoleranz gegenüber Andersdenkenden gezeigt hätte. Besonders fatal: „Die überwiegende Mehrheit der polizeilichen Übergriffe wird wahrscheinlich ungestraft bleiben, während viele von denen, die organisiert und an den Protesten teilgenommen haben, verunglimpft und missbraucht wurden – und jetzt auf unfaire Art und Weise oder über Gebühr verfolgt werden.“

Viele Demonstranten klagen über Spätfolgen

Unterdessen sprechen zwei zeitgleich vorgelegte Berichte über Polizeigewalt während der Gezi-Proteste eine klare Sprache. Die Polizei habe freiwillige medizinische Helfer angegriffen, das türkische Gesundheitsministerium hat keinen Notfallplan zur Versorgung der Verwundeten aufgestellt. Viele Demonstranten klagen noch immer über Spätfolgen .

Erst am 12. September hatte Amnesty International die Internationale Gemeinschaft dazu aufgefordert, die Türkei nicht länger mit Tränengas und bewaffneten Fahrzeugen zu versorgen. „Die Rückkehr der türkischen Polizei zu diesem missbräuchlichen Einsatz von Gewalt als Reaktion auf Demonstrationen unterstreicht die Notwendigkeit für alle Länder die Verbringung von Tränengas und andere Reizstoffe sowie gepanzerte Polizei-Fahrzeuge in die Türkei auszusetzen. Und zwar solange, bis Maßnahmen ergriffen werden, um solche Todesfälle und Verletzungen zu vermeiden“   soAndrew Gardner. Am gleichen Tag flammten in der Türkei die Proteste wieder neu auf.