Es sollte nach einhundertjähriger Feindschaft ein neuer Versuch der Versöhnung sein. Türken und Armenier gemeinsam. Wie 2008. Damals lud der armenische Präsident Sersch Sargsjan seinen türkischen Kollegen zu einem Fußballspiel ihrer Mannschaften nach Eriwan ein. Die Fußballdiplomatie setzte sich mit einem Gegenbesuch Sargsjans in der Türkei fort. Es gab Hoffnung, dass so lange nach den Massakern an den Armeniern im Osmanischen Reich doch Dialog möglich ist. Auch die Grenzen zwischen der Türkei und dem Südkaukasusstaat sollten sich wieder öffnen. Doch der Versuch schlug fehl.

Und jetzt, da die Armenier den 100. Jahrestag des «Genozids an ihrem Volk» begehen, fühlen sie sich einmal mehr gedemütigt von dem großen Nachbarn. Schon früh schickte der 60-Jährige Sargsjan an seinen Kollegen Recep Tayyip Erdoğan eine Einladung zum nationalen Gedenktag am 24. April. An dem Tag erinnert die Hauptstadt Eriwan an die nach armenischen Angaben 1,5 Millionen Opfer der Massaker, die Türkei geht von deutlich weniger aus. Eine Antwort darauf kam nicht, wie Sargsjan kritisiert. Stattdessen schickte Erdoğan selbst eine Einladung – zu einem Gedenktag in der Türkei und ausgerechnet an dem für die Armenier heiligen Jahrestag.

An jenem Apriltag vor 100 Jahren begannen die Vertreibungen und Masakern im Osmanischen Reich mit der Festnahme prominenter Armenier in Konstantinopel, dem heutigen Istanbul. An die Gräueltaten freilich will Erdoğan mit seinem Schreiben an Sargsjan nicht erinnern. Er und die türkische Regierung haben vielmehr beschlossen, Gedenkfeiern zur Schlacht von Gallipoli vor ebenfalls 100 Jahren an gleich drei Tagen abzuhalten.

Zwar landeten die alliierten Truppen der Schlacht im Ersten Weltkrieg erst am 25. April auf der türkischen Halbinsel. Erdoğan lädt aber schon am 23. April zu einem «Friedensgipfel» in Istanbul. Danach soll in Canakkale – wo es zur Schlacht kam – der Toten gedacht werden. Die Einladungen für die Gallipoli-Gedenkfeiern wurden türkischen Medien zufolge an Staats- und Regierungschefs von mehr als 100 Ländern versandt. Offen ist noch, wer kommen wird.

Als Affront will die türkische Regierung die Einladung an Sargsjan selbstredend nicht verstanden wissen. In seinem Brief an Sargsjan lobte Erdoğan vielmehr die Rolle etwa des armenischen Offiziers Sarkis Torosjan beim Schutz des osmanischen Imperiums. In einer Antwort wies der armenische Staatschef den Türken dann aber in die Schranken: «Die früh vom Osmanischen Reich geplanten und umgesetzten massenhaften Pogrome und gewaltsamen Deportationen des armenischen Volkes haben nicht einmal vor Torosjan haltgemacht.»

Die Eltern des Offiziers seien brutal ermordet worden, «seine Schwester starb in der Wüste Syriens», schrieb Sargsjan entsetzt an seinen Kollegen. Statt sich mit der eigenen Vergangenheit ehrlich zu befassen, kritisiert der Armenier, «setzt die Türkei leider ihre traditionelle Politik der Negierung fort». Sargsjan schimpft, die türkische Einladung der Staats- und Regierungschefs zu den Feiern am 24. April sei nicht mehr «als ein primitiver Versuch, die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit vom 100. Jahrestag des Genozids an den Armenien abzulenken».

Der Streit um den Termin zeigt, wie vergiftet das türkisch-armenische Verhältnis ist. Dabei hatte sich auch Erdoğan – damals noch als Ministerpräsident – einst um Aussöhnung mit Eriwan bemüht. 2009 unterzeichneten beide Regierungen ein Protokoll zur Normalisierung ihrer Beziehungen. Vereinbart wurde unter anderem «eine unabhängige wissenschaftliche Untersuchung» der Ereignisse von 1915 und eine Öffnung der Grenzen. Doch nichts davon wurde umgesetzt.

Die Türkei wehrt sich weiterhin vehement dagegen, die Gräueltaten an den Armeniern im Osmanischen Reich einen Genozid zu nennen. Aus Sicht der Regierung in Ankara existiert «kein authentischer Beweis, der die Behauptung unterstützt, dass es einen vorsätzlichen Plan gab, Armenier zu vernichten». Zwarwürdigte Erdoğan am 24. April vergangenen Jahres «das Leid, das die Armenier zu jener Zeit durchlebt haben». Eine Entschuldigung war das aber nicht.

Zur Versöhnung dürfte auch seine Aussage aus dem Wahlkampf wenig beigetragen haben, bevor er im vergangenen August zum Präsidenten gewählt wurde. Erdoğan sagte damals, obwohl er Türke sei, habe man ihn schon vieles geschimpft, einen Georgier zum Beispiel oder noch «hässlichere Dinge»: nämlich einen Armenier.