Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) an seinem Amtssitz im libanesischen Charfeh am Mittwoch wandte sich Younan gegen eine Einmischung der Politik in christliche Angelegenheiten, forderte aber gleichzeitig die internationale Gemeinschaft zum Schutz der Christen in der Region auf.


«Die Lage im Libanon hat sich verändert. Es gibt konfessionelle Spannungen, vor allem zwischen Sunniten und Schiiten, aber das ist nicht neu. Die Präsenz von mehr als einer Million Flüchtlingen aus Syrien trägt jedoch nicht zur Beruhigung bei», so Younan. «Die
Flüchtlinge, mehrheitlich Sunniten, leben unter unmenschlichen Konditionen. Unter ihnen sind manche, die alles verloren haben und sich durch terroristische Gruppen angezogen fühlen, aber keiner spricht darüber, aus Angst, als islamophob zu gelten.»

Was ihm aber wirklich Sorgen mache, seien die wachsenden Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten. Über Jahrhunderte hätten die Sunniten die Oberhand in allen arabischen Ländern, von Beginn des Islam bis zur iranischen Revolution Khomeinis. Daraus sei eine Überheblichkeit gegenüber den anderen entstanden. «Die Schiiten erwachen, in Syrien regiert eine alawitische Minderheit, und die Sunniten fordern ihre Vormachtstellung ein», sagt der Geistliche.

«Der Westen hat die Krise mitverschuldet. Wenn man uns gelassen hätte, hätten wir eine Lösung gefunden. Sicher sind in einem Staat wie Syrien Reformen nötig, aber sie müssen verhandelt werden, nicht aufgezwungen. Echte Reformen brauchen Zeit. Wir Kirchenführer haben immer zu Dialog und Versöhnung aufgerufen», so der Patriarch. Er habe schon im Mai 2011 gesagt: Gewalt werde Chaos und Religionskriege mit sich bringen, eine große Katastrophe für die Unschuldigen, insbesondere die christlichen Gemeinden. Genau da stünde man jetzt.

Der Westen habe nicht den nötigen Mut und die nötige Weitsicht gehabt, von arabischen Ländern mit muslimischer Mehrheit eine klare Trennung von Religion und Staat zu fordern. Solange es diese Trennung nicht gebe, so Younan, gebe es für Minderheiten wie die Christen in diesen Staaten keine Sicherheit. Was die Christen im Irak und in Syrien jetzt bräuchten, seien Gebet und «das Recht, in Würde in unserer Heimat zu leben, wie alle anderen Minderheiten».

Entschieden wandte sich der Patriarch auch gegen westliche Unterstützung für die syrische Opposition. Fakt sei, dass «Waffen, die an sogenannte moderate Gruppen geliefert werden, am nächsten Tag in den Händen der Radikalen» seien.