Die Konda Forschungs-und Beratungsgesellschaft hat sich in 27 türkischen Städten umgehört und die Bewohner zu ihrer Einstellung zum Sprachgebrauch von Minderheiten in der Türkei und in Deutschland befragt. Veröffentlicht wurde die Umfrage im Zuge der „Woche der Menschenrechte 2013“. Gezeichnet wird jedoch ein widersprüchliches Bild. So glauben die Befragten einerseits, dass die Kinder türkischer Migranten in Deutschland ihre Muttersprache auch in den Schulen lernen sollten. Auf der anderen Seite sind sie jedoch nicht der Ansicht, dass Millionen Kurden in der Türkei die gleichen Rechte in der Türkei haben sollten.


Die Umfrage offenbart: 81 Prozent der Teilnehmer glauben, dass es eine Verletzung der Menschenrechte wäre, wenn türkischstämmmigen Kindern in der Bundesrepublik das Recht verweigert würde, in ihrer Muttersprache zu lernen. Doch nur 47 Prozent sehen das so, wenn es um kurdische Kinder in der Türkei geht.

Kurden wurden jahrzehntelang unterdrückt

„Es ist nicht verwunderlich, dass sich die türkischen Bürger von der Sprache und den Rechten der Kurden distanzieren“, so der kurdische Literaturkritiker und einer der Pioniere der kurdischen KDV-Bewegung in der Türkei, Ali Fikri Isi. Seiner Ansicht nach sei die türkische Bevölkerung derzeit nicht in der Lage, die „wahre Bedeutung von Rechten“ in ihre eigene Kultur zu integrieren. Es wäre überhaupt nicht möglich eine demokratische Haltung gegenüber einer Sache zu entwickeln, der man sich jahrzehntelang verweigert habe. Über Dekaden hinweg wurde die kurdische Bevölkerung unterdrückt. Bis vor wenigen Jahren wurde das Sprechen ihrer Sprache in der Öffentlichkeit oder das Hören kurdischer Musik mit Geldstrafen oder gar Gefängnis geahndet.


Kurden machen derzeit etwa 20 Prozent der 76 Millionen in der Türkei lebenden Menschen aus. Sie leben im überwiegend kurdischen Südosten des Landes.


Für Zana Farqini, Leiterin des Kurdischen Instituts in Istanbul, sind die Umfrageergebnisse alles andere als eine Überraschung. „Wenn die sprachlichen und kulturellen Rechte der Kurden diskutiert werden, ist die herrschende Ideologie in der Türkei von der Paranoia des Separatismus geprägt.“ Nicht nur bei einfachen Bürgern herrsche diese Denke vor, sondern auch bei hochrangigen Staatsbeamten. Als der einstige Ministerpräsident Suleyman Demirel auf den Balkan reiste, forderte er die Türken dort auf, ihre Muttersprache zu sprechen. Als der amtierende Premier Recep Tayyip Erdoğan in Deutschland zu Gast gewesen wäre, hätte er Assimilation als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit bezeichnet. Wenn es also um die Rechte von Türken in anderen Ländern gehe, würden sie nie über die Gefahr des Separatismus nachdenken.

Wahlfach Kurdisch wurde kaum angenommen

„Das Recht auf Bildung in der Muttersprache ist ein nicht verhandelbares Recht“, so Farqini. „Eigentlich ist es ein heiliges und angeborenes Recht, das jeder ohne Ausnahme haben sollte. Doch das türkische Bildungssystem fußt hier auf Doppelstandards.“ Im vergangenen Sommer signalisierte das türkische Bildungsministerium jedoch, Bewegung in diese Angelegenheit zu bringen. Das Ministerium ist offenbar bestrebt, künftig Kurdisch als Unterrichtssprache in Privatschulen zuzulassen. Als Wahlfach ist Kurdisch bereits seit dem vergangenen Schuljahr an staatlichen Schulen eingeführt. Um Unterricht auf Kurdisch zu ermöglichen, muss jedoch erst Artikel 42 der Verfassung abgeändert werden. Derzeit ist dort festgeschrieben: „Den Bürgern soll in allen Schulen und Ausbildungseinrichtungen keine andere Sprache als das Türkische als Muttersprache näher gebracht werden.“ Daneben ist auch eine Änderung des Gesetzes Nr. 5580 über private Bildungseinrichtungen notwendig. Ausschließlich auf Kurdisch soll der Unterricht dann allerdings nicht erfolgen. Nach wie vor müssen die Bildungseinrichtungen sicherstellen, dass die Schüler profunde Türkischkenntnisse besitzen.


Die erste Kurdisch-Kurse in türkischen Schulen gab es bereits im Jahr 2004. Auf Grund mangelnden Interesses oder wegen finanzieller Schwierigkeiten blieben die meisten jedoch nicht bestehen. In einem zweiten Annäherungsschritt wurden im Zuge der 4+4+4-Schulreform Kurdisch-Klassen als Wahlfach an staatlichen Schulen zugelassen
. Allerdings: Das seit diesem vergangenem Schuljahr angebotene Wahlfach Kurdisch wird schlechter angenommen, als im Vorfeld erwartet.


Mittlerweile sind Predigten auf Kurdisch ebenso zugelassen wie eine Verteidigung vor Gericht in der Muttersprache.

Skepsis gegenüber Demokratiepaket

Unterdessen förderte eine Umfrage des Politik-und Sozialforschungszentrums (SAMER) über die Wahrnehmungen und Erwartungen der Kurden in 22 kurdischen Städten in der Türkei eine tiefsitzende Skepsis der kurdischen Bürger zutage, wenn es um weitere Reformen der türkischen Regierung geht. Das im Oktober vorgestellte „Demokratiepaket“ wird von einer Mehrheit der Befragten nicht unterstützt. Fast 67 Prozent der Teilnehmer gaben an, dass das Demokratiepaket nicht ihre Forderungen erfülle. Nur 17,4 Prozent meinten, dass die Initiative ausreichend sei, um die Kurdenfrage zu lösen.


Auf die Frage, was das nächste Demokratiepaket beinhalten sollte, gaben rund drei Viertel der Befragten an: Dass der politische Status der Kurden anerkannt werden sollte; Kurden die Möglichkeit haben sollten Bildung in kurdischer Sprache an öffentlichen Schulen zu erhalten; Kurdisch eine der Amtssprachen der Türkei sein sollte, die Kurden demokratische Autonomie genießen sollten, es eine Amnestie für politische Gefangene geben und die lokalen Verwaltungen gestärkt werden sollten. Nur etwa 40 Prozent der türkischen Kurden können in den Bestrebungen Ankaras, die Kurdenfrage zu lösen, überhaupt eine positive Entwicklung erkennen.