14 JAHRE NACH DEM RAUSWURF

 Mehmet will zurück

nach Deutschland

HAT DER TÜRKE EINE DRITTE CHANCE VERDIENT?

Video descriptionVideo abspielen
00:00
|
04:02

Istanbul/München – Mit nur 14 Jahren flog „Problemkind Mehmet“ achtkantig aus Deutschland raus. 62 Straftaten hatte der „Schrecken von Neuperlach“ auf dem Konto. Jetzt ist „Mehmet“, der eigentlich Muhlis A. heißt, mit 28 doppelt so alt wie damals – und ein besserer Mensch?

BILD.de fand das Politikum, das Deutschland in zwei Lager gespalten hatte, in der Türkei.

Im Schatten der Minarette der Sultan-Ahmet-Moschee von Istanbul blickt „Mehmet“ auf sein Leben zurück: „Die Türkei ist mein Vaterland. Aber Deutschland ist meine Heimat. Ich bin dort geboren, dort aufgewachsen, bin dort zur Schule gegangen. Alles, was mich ausmacht, habe ich aus Deutschland. Und darum ist Deutschland meine Heimat.“

Aber Deutschland schmiss ihn raus!

Der „Fall Mehmet“ sorgte international für Schlagzeilen: Ein Kind wurde ohne Eltern abgeschoben. Aber es gab gute Gründe für Härte. Denn „Mehmet“ war als Kind ein einziger Albtraum, über 1000 Seiten dick seine Akte. Diebstähle, Einbrüche, Autos geknackt, Mitschüler terrorisiert, brutale Prügel. Mit seiner Gang verbreitete der Schläger Angst und Schrecken.

„Das war so eine Art Gruppenzwang im Ghetto. Ich wollte mich irgendwie darstellen und irgendwie anerkannt sein im Freundeskreis.“ Dazu gehörte auch aggressive Musik. „Dieser Rap- und Gangsta-Scheiß. Das war großer Mist.“

Waren ihm die vielen Opfer egal?

„Nein, die Opfer waren mir nicht egal. Das waren schreckliche Sachen, die wir da angestellt haben, die ich heute zutiefst bereue. Man ist in so einer Art Trance, man ist nicht bei sich, ist nicht die Person, die man eigentlich wirklich ist. Man ist in dieser Gruppe, muss sich da beweisen. Ja, beweisen ist das richtige Wort. Heute denke ich, wie schrecklich es ist, dass man einen Menschen verletzten oder ihm was antun kann.“

Das Horror-Kid aus München konnte nicht bestraft werden. Die Behörden verzweifelten an ihm. Erst mit 14 wurde er strafmündig. Und da reagierte der Staat mit voller Härte, als „Mehmet" wieder zuschlug. Der berühmt-berüchtigte Junge, über den ganz Deutschland debattierte, wurde1998 in die Türkei ausgewiesen. Für ihn eine fremde Welt. Ohne Eltern.

  • Mit 14 wurde der „Chaos-Junge“ aus München in die Türkei abgeschoben. Grenzschützer eskortierten „Mehmet.“

    ABGESCHOBEN IN DIE TÜRKEIMit 14 flog der „Chaos-Junge" aus Deutschland raus

    Mit 14 wurde der „Chaos-Junge“ aus München in die Türkei abgeschoben. Grenzschützer eskortierten „Mehmet.“

    Foto: AP
    1 von 6

Mehmet spricht Münchener Dialekt, sagt: „Das war natürlich nicht einfach. Das ist hier eine ganz andere Kultur, eine ganz andere Welt. Und die Sprache konnte ich auch nicht richtig. Ich bin ein Münchener Kindl. Ich bin da geboren. Das macht mich aus. Das bin ich.“

Was fällt ihm als Erstes ein, wenn er an seine Heimat München denkt? „An eine warme Leberkässemmel in der Früh. So was gibt's hier nicht in der Türkei.“

Und wie denkt der 28-jährige Muhlis über den halb so alten Chaos-Jungen „Mehmet“ von damals? „Kind, jung und naiv.“

Im Hochhausviertel Neuperlach wuchs er auf. Sein Vater am Band von BMW, die Mutter Zimmermädchen. Nachdenklich sagt er: „Eigentlich haben Ghetto-Kids wie ich viel Potenzial, weil sie einen enormen Überlebenswillen haben. Aber sie werden nicht richtig gefördert.“ Er geriet auf die schiefste aller Bahnen.

Ist er heute ein besserer Mensch?

„Ich war immer der gleiche Mensch, habe das gleiche Herz. Aber es hat sich viel verändert. Man wird älter, man wird reifer. Man hat eine ganz andere Sicht. Man beurteilt und reagiert und verhält sich anders. Das kann man von einem 14-jährigen Jungen nicht erwarten.“

War die Strafe gerecht?

„Nee, das war das Allerletzte. Das war einfach ein Unding. Das geht nicht. Man kann ein 14-jähriges Kind nicht einfach in ein Land schicken, das es nicht kennt, dessen Sprache es nicht spricht. Man darf ein Kind nicht wie einen Schwerkriminellen behandeln. Ich finde nicht, dass die Strafe mir etwas gebracht hat. Im Gegenteil. Es hat mir geschadet. Es hat mir viel Einsamkeit, viel Trauer gebracht. Es war nicht gut für mich. Aber ich habe keinen Groll auf irgendeine Person oder Behörde.“

In der Türkei wurde er zum Medienstar. Mit Jobs in einer Schildermacherei und einer Bar verdiente er sein Geld.

Deutschland gab „Deutschlands schlimmstem Kind“ eine zweite Chance. Die Abschiebung wurde für rechtswidrig erklärt. Hier bei uns machte er seinen Hauptschulabschluss nach mit der Note 1,5. Aber es gab wieder Ärger. „Mehmet“ soll auf seine Eltern losgegangen sein. Die Strafe: 18 Monate Haft auf Bewährung. „Mehmet“ flüchtete 2005 in die Türkei, sagt: „Da wurde mir was angehängt. Mit meinen Eltern verstehe ich mich wieder gut.“ Bei dem Vorleben fällt es schwer, ihm zu glauben...

„Mehmet“ fühlt sich als „Deutsch-Türke“. In seinem Vaterland hat er den Wehrdienst (21 Monate) abgeleistet, gründete ein Transportunternehmen und eine Paintball-Anlage. Beides gibt es nicht mehr; sein Geschäftspartner starb bei einem Unfall. Jetzt plant er eine Touristen-Attraktion in Antalya.

Sein Traum: „Ich möchte auf jeden Fall zurück nach Deutschland!“

Aber warum sollte Deutschland ihm eine dritte Chance geben?

„Ich habe viel Kontakt mit Jugendlichen, die so sind, wie ich war. Ich bin dabei, die zu unterstützen, mache das gerne. Ich bin aber nicht der Samariter, der die Welt retten will. Es geht auch darum, dass ich das für mich besser verarbeiten kann.“

Muhlis, der mal „Mehmet“ war, will ein Buch schreiben: „Ich will Jugendlichen damit helfen und sie unterstützen. Das Buch ist dafür die beste Plattform.“

Der Türke hat sich den deutschen Anwalt Burkhard Benecken (35) genommen, der sagt: „Mit etwas Glück kann Mehmet Ende des Jahres wieder nach Deutschland.“ Entscheidend wird sein, was aus der ausstehenden Freiheitsstrafe wird. „Darüber müssen wir mit der Staatsanwaltschaft reden.“

Das „Ex-Problemkind“ als Friedensstifter? „Mehmet“ bittet um Gnade: „Ich bin kein Sozialarbeiter, habe das nicht studiert oder gelernt. Aber ich habe meine Erfahrungen, kann die mit Jugendlichen teilen. Wenn Jugendämter und andere Institutionen meine Unterstützung annehmen, würde ich das herzlich gerne machen...“

In der Türkei kümmert er sich gerade um seine Eltern. Sein Vater wurde am Herzen operiert. „Mehmet“ scheint ein besserer Mensch geworden zu sein...